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The Grove
There and back again

     
Vorsicht, Rant!

Ich kann es nicht mehr hören. Als vor zwei Jahren die amerikanische Stadt New Orleans von einem Hurricane getroffen, überflutet und größtenteils zuerstört wurde, war der Tenor in den deutschen Zeitungen, daß die arroganten Amerikaner sich das selbst eingebrockt hatten. Immerhin glauben sie nicht an den Klimawandel und weigern sich, Anstrengungen zum Einsparen von Treibhausgasen zu unternehmen. Überhaupt sind sie arrogant, aggressiv und führen einen ungerechtfertigten Krieg in Mesopotamien. Die Antworten amerikanischer Leserbriefschreiber zu diesen gedankenlosen und zynischen Artikeln waren verständlich und zum Teil haßerfüllt.

Vor zwei Tagen erschoß ein Amokläufer aus bisher ungeklärten persönlichen Gründen auf dem Campus der Virginia Tech Uni in Blacksburg 33 Personen. Die (westliche?) Welt ist starr vor Entsetzen - bis heute im Spiegel und anderswo die Diskussion wieder angeheizt wird, wie einfach es doch ist, in den USA eine Schußwaffe zu erwerben. Die Amerikaner sind doch eigentlich selbst schuld, daß so etwas immer wieder bei ihnen passiert. Die Antworten amerikanischer Leserbriefschreiber zu diesen zwar gerechtfertigten aber dennoch gedankenlosen Meinungen waren verständlich... Aber ich wiederhole mich.

Liebe deutsche Journalisten, bitte spart euch doch alle euren Zynismus und eure wohlfeile Meinung über das böse Amerika.


Ich sollte vielleicht noch hinzufügen, daß einer der Betreuer meiner Doktorarbeit an der Virginia Tech forscht und lehrt und einer meiner Freunde dort studiert hat. New Orleans habe ich zwei Jahre vor Katrina auf einer Tagung besucht - die Stadt war unglaublich kitschig und gleichzeitig anrüchig, ein echtes Disneyworld für Erwachsene, aber dennoch eine schöne, beinahe Europäische Stadt.
Stefan Hunger meinte am 19. Apr, 21:56:
Die Diskussion geht weiter. Ich finde ja, daß Spiegel Online, wie in letzter Zeit immer häufiger, die Geschichte aufbauscht. 
Stefan Hunger meinte am 20. Apr, 22:02:
Die Zeit ist nicht so reisserisch:
Heute in der Zeit
_Joachim_ antwortete am 23. Apr, 20:31:
Und nun die taz...
http://www.taz.de/dx/2007/04/23/a0164.1/text - Titel: "Bis zum nächsten Mal". Die hauen in die gleiche Kerbe. Auch hier ein "für Europäer offenkundig[er] ... 'Irrweg der US-Gesellschaft'".
Mmh. Allein die Zeit denkt an Emsdetten und Erfurt und hat den Spruch von der eigenen Nase im Kopf. 
Stefan Hunger antwortete am 24. Apr, 11:26:
Der Taz-Artikel ist angenehm unaufgeregt. Frau Wolterdorf analysiert mehr als daß sie sagt, "Das könnte in Deutschland nicht passieren, denn bei uns gibt es ein strengeres Waffengesetz." Denn wie sich in Erfurt gezeigt hat, passiert das eben auch in Deutschland. 
Stefan Hunger antwortete am 28. Apr, 14:24:
Beiträge dazu im Freitag:
Hier, hier und hier.

Auch wenn der zweite Artikel ausführlich und differenziert ist, läßt er sich doch auf ein Argument reduzieren: Der Amoklauf in Blacksburg ist passiert, weil es einem verstörten jungen Mann zu leicht gemacht worden ist, sich Waffen zu beschaffen. Das läßt sich nicht bestreiten.

Die Attentäter von Erfurt und Emsdetten hatten es ungleich schwerer als Cho, sich zu bewaffnen. In allen ernsthaften Diskussionen über solche Massaker an Schulen oder Universitäten fällt immer wieder ein Ortsname: Littleton, Colorado. Klebold und Harris sind inzwischen international zu Vorbildern für alle ausgestoßenen und gedemütigten Schüler avanciert. Das hat mit der leichten Verfügbarkeit von Waffen weniger zu tun als mit dem Breittreten der Ereignisse in den Medien. Demnach sollte ich vielleicht sofort aufhören zu schreiben.


Das Interview mit Martin Ames bietet einen (für mich) neuen Erklärungsansatz. Läßt er sich auf die deutschen Schulen anwenden? Nur bedingt. Meiner Meinung nach war für die deutschen Massaker die Vorbildfunktion der amerikanischen ausschlaggebend.

Meiner Meinung nach, und das ist bisher sehr selten angesprochen worden, ist die zunehmende Desensibilisierung der Betroffenen ein wichtiger Faktor. Ich möchte keine Schuld zuweisen, wie es nach bisher jedem Schulmassaker geschehen ist. Gewalttätige Videospiele und Gewaltfilme sind bisher immer verantwortlich gemacht worden und von Spielern und Zuschauern wortreich und indigniert verteidigt worden. Aber es ist wahr, daß in "Ballerspielen" und Horrorfilmen ein Menschenleben nicht viel zu gelten scheint. Ich erinnere mich lebhaft daran, in den USA im Kino "The Blair Witch Project" gesehen zu haben. Der Film hat mir unglaubliche Angst gemacht. Ein paar Reihen weiter haben sich die jungen Leute (den Stimmen nach zu schließen) gut amüsiert. Ich hatte den Eindruck, daß es ihnen nicht offensichtlich blutig und schrecklich genug gewesen ist, was zugegebenermaßen stimmte. TBWP ist ein sehr psychologischer Horrorfilm mit wenig Blut und abgetrennten Gliedmaßen. Anderes Beispiel: Wir haben in der Gruppe Quake gespielt. Es hat mich anfangs Überwindung gekostet, auf die animierten Modelle meiner Freunde zu schießen. Es geht einfacher, wenn man sich innerlich vom Geschehen distanziert und die Ballerei mehr als einen sportlich Wettkampf ohne direkten Schaden für Leib und Leben der anderen ansieht.

Aber nur weil junge Leute nichts dabei finden, virtuell zu morden oder virtuellen Mordtaten zuzusehen, heißt das doch noch lange nicht, daß sie sich auch in der Realität innerlich distanzieren könnten und zur Waffe greifen würden um Konflikte zu lösen. Oder etwa doch? 
_Joachim_ antwortete am 3. Mai, 19:15:
Danke für diese ausführliche Analyse, die gefällt mir sehr gut. Ich dachte, ich äußere mich nochmal dazu. Hat ein bisschen gedauert.

Ich glaube aber, ich will dir widersprechen. Es doch etwas anderes, abgetrennte Gliedmaßen in einem Film zu sehen, als selbst welche abzutrennen.
Auch wenn ich als Erwachsener über einen Horrorfilm mit solchen Bildern einfach drüber wegginge (Mmh, Konjunktiv, denn eigentlich sehe ich mir selten Horrorfilme mit abgetrenten Gliedmaßen an :-), halte ich meine eigene Hemmschwelle vor Gewalt als nach wie vor für sehr hoch.

Andererseits habe ich auch beim Film "Die Passion Christi" von Mel Gibson die Augen zugemacht, als es mir zu explizit gewalttätig war. 
_Joachim_ meinte am 3. Mai, 21:40:
Links zum Thema: USA erklärt
In diesem Zusammenhang möchte ich gerne auf ein Blog hinweisen, das aus Sicht eines US-Amerikaners, der in Deutschland lebt, die Feinheiten der dortigen Lebensart erklärt.
Zum Thema gibt es die zwei aktuellen Links:
Hier und hier.

Sehr lesenswerte Texte, da habe sogar ich noch was lernen können ;-) 
Stefan Hunger antwortete am 5. Mai, 00:54:
Sehr interessant! Und sehr unaufgeregt-freundlich. Da werde ich häufiger mal vorbei schauen. 
 

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